Konflikte mit Menschen, die uns ständig begegnen, sind eine riesige Belastung. Denn als soziale
Wesen sind wir auf Harmonie programmiert und können Streit schlecht aushalten – die einen eher schlecht, die meisten sehr schlecht und manche so gut wie gar nicht. Trotzdem rutschen wir immer wieder in Konflikte hinein, geraten uns regelmäßig mit anderen in die Haare, vor allem mit jenen, mit denen viele von uns mehr Wachzeit verbringen als mit allen anderen: den lieben Kolleginnen und Kollegen.
Wie viel in deutschen Unternehmen gestritten wird, dokumentieren zwei Zahlen, die die Unternehmensberatung KPMG im Rahmen einer Studie ermittelt hat. Dieser zufolge gehen bis zu 15 Prozent der Gesamtarbeitszeit für Konfliktbewältigung drauf. Führungskräfte sollen sogar bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitszeit direkt oder indirekt für die Bearbeitung von Konflikten und deren Folgen aufwenden. Wobei bei solchen Zahlen immer zu berücksichtigen ist, dass der Effekt der sozialen Erwünschtheit bei deren Ermittlung wahrscheinlich eine Rolle gespielt hat. Heißt konkret: Weil Streit nicht gerade als rühmliches Verhalten gilt, fallen die entsprechenden Angaben eher zu niedrig als zu hoch aus. Wer gedanklich jeweils ein paar Prozentpunkte draufpackt, fährt in der Regel realistischer.
Dass wir, obwohl von Natur aus nicht auf Krawall gebürstet, im Büro so oft aneinandergeraten, hängt vor allem damit zusammen, wie das Kollegen-Kollektiv entsteht. Denn anders als Freunde kann man sich die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, im Normalfall nur sehr bedingt aussuchen. Die Folge: In Unternehmen kommen Personen zusammen, die sehr unterschiedlich sind. Im engen Miteinander kommen die unterschiedlichen Prägungen und Verhaltensweisen dann zum Tragen, zuerst meist in Form gegenseitigen Unverständnisses und Genervtseins. Die Auslöser reichen von Banalitäten, wie dem in die Spüle geworfenen benutzten Teebeutel, bis hin zu Richtungsentscheidungen, bei denen sich die eher stetig orientierten Teammitglieder von den „initiativen Typen“ getrieben und umgekehrt sich Letztere von Ersteren blockiert und ausgebremst fühlen. Bis irgendwann das Fass überläuft und über den konkreten Auslöser oder auch etwas ganz anderes gestritten wird (Stellvertreter-Streit).
So groß das Konfliktpotenzial im (diversen) Organisationskollektiv ist, hat es doch jeder und jede Einzelne in der Hand, es im eigenen Umfeld zu entschärfen oder zumindest deutlich einzudämmen. Als Mittel dazu haben sich fünf Prinzipien der Problem-Kommunikation bewährt. Sie sind für ein konfliktfreies Miteinander so essenziell wie das Einmaleins für die Rechenkunst. Auch genauso leicht zu verstehen, allerdings deutlich schwerer in ihrer Anwendung – vor allem deshalb, weil sie Selbstreflexion und Selbstkontrolle erfordern.
1. Wahrnehmen, nicht bewerten
Einer der größten Fehler im menschlichen Miteinander besteht darin, das Verhalten anderer vorschnell zu bewerten. Nehmen wir den simplen Fall mit dem Teebeutel. Der erste Impuls bei Sichtung wird wahrscheinlich so oder ähnlich lauten: „Typisch Tim, immer ist er unordentlich und schlampig!“ Heißt, es werden sofort Rückschlüsse auf den „Übeltäter“ als Person gezogen und mögliche Umstände, die zum Verhalten geführt haben könnten – etwa extremer Zeitdruck – kommen erst gar nicht in Betracht.
Das hat System, für das es in der Psychologie sogar einen Namen gibt: fundamentaler Attributionsfehler. Damit wird die menschliche Neigung bezeichnet, den Einfluss dispositionaler Faktoren, wie z.B. Persönlichkeitseigenschaften, Einstellungen und Meinungen, auf das Verhalten anderer systematisch zu überschätzen bzw. äußere Faktoren, wie z.B. Gesundheitszustand, familiäre Konflikte und Jobprobleme, zu unterschätzen.
Bei mehrfacher Beobachtung eines als problematisch erlebten Verhaltens macht sich oft eine weitere menschliche Neigung bemerkbar: die, Dinge zu sehr und nicht selten völlig grundlos auf sich selbst zu beziehen. In der Folge schleichen sich – teils bewusst, teils unbewusst – Gedanken ein, die aus der Distanz betrachtet regelrecht absurd anmuten. In der Causa „Teebeutel“ etwa: „Er will, dass ich den Teebeutel für ihn wegwerfe.“ Oder: „Er will mich ausnutzen.“ Oder im Fall der stetigen Typen, die sich von den Intiativen getrieben fühlen: „Im Grunde geht es ihnen nur darum, mich fertigzumachen.“ Oder: „Sie wollen mich loswerden.“
Wer solchen Gedankengängen den Lauf lässt, riskiert die Beziehung. Zum einen deshalb, weil man mit der Zeit eine gewisse Gereiztheit entwickelt, die die „Übeltäter“ wahrscheinlich wahrnehmen und noch wahrscheinlicher in keinen Zusammenhang setzen können – und wenn sie es tun, dann vermutlich in den falschen („Sie mag mich nicht“, „Ich kann ihr nichts recht machen“). Zum anderen, weil die Gefahr groß ist, dass einem irgendwann der Kragen platzt: Der Teebeutel-Liegenlasser wird angeschnauzt, er soll seine Hinterlassenschaften gefälligst selbst wegräumen. Die initiativen Kolleginnen und Kollegen werden angefahren, dass sie es nicht schaffen werden, einen rauszuekeln. Da für Ersteren wie Letztere so ein Ausbruch wie aus heiterem Himmel kommt, werden sie die Reaktion nicht nachvollziehen können und auf Abwehr oder Gegenangriff schalten – und dabei gegebenenfalls ebenfalls ihren eigenen ichbezogenen Gedankengängen und Vorurteilen Luft machen, was wiederum neue (Gegen-)Angriffe provoziert und so weiter. Am Ende steht regelmäßig das Zerwürfnis.
Das erste Prinzip, das hilft, solche Eskalationsspiralen zu verhindern, dürfte vielen aus der Meditation oder von Entspannungsübungen bekannt sein. So wie dort aufkommende Gedanken nur wahrgenommen aber nicht bewertet werden, gilt es auch mit beobachtetem Verhalten anderer zu verfahren, das in uns Widerwillen auslösen will: diesen Impuls zurückdrängen, und nur wahrnehmen, nicht bewerten. So bleiben wir offen und erhalten uns die Chance, die wirklichen Motive und Gründe des „zweifelhaften“ Verhaltens zu verstehen – die in aller Regel alles andere als „ärgerlich“ sind.
2. Wohlwollende Haltung einnehmen
Wenn das Kind jedoch bereits in den Brunnen gefallen ist, wir uns also unsere Meinung über das beobachtete Verhalten bereits gebildet haben und in eine negative Haltung gegangen sind, gilt es zuerst, aus dieser wieder herauszukommen. Eine gute Methode dazu: sich vorstellen, einen Knopf mit der Aufschrift „Positiv denken“ zu drücken. Weil Bilder die Sprache des Gehirns sind – sie docken sozusagen perfekt an den Synapsen an – zeigt solch eine einfache positive Affirmationen zumeist sofort Wirkung. Mit etwas Übung kann es sogar gelingen, Groll so buchstäblich auf Knopfdruck komplett aufzulösen und in eine positive Haltung zu gehen. Aus dieser heraus ist es möglich, negative Urteile wie „Sie wollen mir mit ihrem Verhalten schaden“ beiseitezuschieben – in mindestens 99 Prozent der Fälle sind solche Annahmen eh Unsinn, denn so ticken die allermeisten Menschen nicht – und mit „positiver Neugier“ der Frage nachzugehen, welche äußeren Umstände oder Bedürfnisse wirklich hinter dem Verhalten stecken.
Vorschnelle Verurteilungen lässt man am besten über die Klinge springen – und zwar über die von „Ockhams Rasiermesser“. Im Kern besagt dieses heuristische Forschungsprinzip, dass die einfachste Lösung die wahrscheinlichste und allen anderen als Hypothese vorzuziehen ist. So dürfte man im Teebeutel-Fall etwa schnell auf Zeitnot als ursächlichen Umstand kommen und im Fall der stets mit neuen Ideen kommenden Kolleginnen und Kollegen zum Schluss, dass es ihnen vor allem darum geht, das Unternehmen in der Spur zu halten und weiterzubringen. Bei diesen Erklärungen sollte man es dann erst auch einmal belassen. Denn selbst für den Fall, dass sie nicht stimmen sollten, erleichtern sie es, eine wohlwollende Haltung einzunehmen.
Wichtig ist auch, dass man sein inneres „Wording“ in den Griff bekommt. Statt Schimpfwörter für den anderen zu verwenden, könnte man sich bewusst für ein witzig-wohlwollendes Wort entscheiden, z.B. „So ein Schelm!“. Eine wohlwollende Haltung hilft nicht nur beim Verständnis des betreffenden Verhaltens, sondern stellt darüber hinaus auch eine Art Metaebene dar, die alle Prinzipien der Problem-Kommunikation überwölbt. Einfacher ausgedrückt: Aus einer wohlwollenden Haltung heraus lassen sich alle genannten Prinzipien leichter befolgen.
3. Stille Wünsche werden nicht erfüllt
Oft glauben wir, die anderen müssen doch selbst merken, was sie bei uns mit ihrem Verhalten anrichten: Wie sie uns auf die Nerven gehen, uns bedrängen, Unwohlsein bei uns auslösen oder was auch immer. Die Überlegung, die dahintersteht: Alle Menschen empfinden, denken und bewerten ähnlich wie wir selbst. So verbreitet diese Annahme ist, so falsch ist sie. Menschen sind – wie gesagt – verschieden. Alle haben ihre eigenen Vorstellungen, Werte, Überzeugungen und Prioritäten, nach denen sie handeln. Wer etwa grundsätzlich den eigenen Projektbericht zwei, drei Tage oder auch schon einmal Wochen nach Fristende abgibt, in dessen individuellem Kosmos spielt Termintreue wahrscheinlich keine große Rolle. So betrachtet verhält er sich konsistent – und kommt wahrscheinlich nicht einmal auf die Idee, dass andere sich am eigenen Verhalten stören.
Darauf zu hoffen, dass die betreffende Person ihr Verhalten von selbst ändert, ist in aller Regel vergebene Liebesmüh. Somit bleiben zwei Möglichkeiten. Die erste: den Frieden mit der „Problemlage“ machen. Das geht leichter, wenn man sich noch einmal die – aus einer wohlwollenden Haltung heraus – vermuteten Motive des Verhaltens ins Gedächtnis ruft. Trotzdem sollte der innere Frieden nicht erzwungen werden. Die dazugehörige Kontrollfrage, die es unbedingt zu beantworten gilt: Kann ich mit diesem Verhalten oder dieser Situation wirklich dauerhaft leben, ohne dass die Beziehung gestört wird? Akzeptiere ich etwa ein für allemal, dass Britta ihre Berichte später abgibt, weil diese dafür immer besonders klar und auf den Punkt sind? Kann ich wirklich Tims Teebeutel in der Spüle als Marotte abtun, über die ich mich nicht mehr ärgern werde, weil er ein hilfsbereiter Kollege ist?
Lässt sich die Frage nicht klar bejahen, ist der zweite Weg einzuschlagen: das Gespräch. Paradoxerweise ist die Hemmschwelle dazu bei vermeintlich gewichtigeren Dingen wie der verspäteten Berichtsabgabe oft niedriger als bei banalen wie dem Teebeutel in der Spüle. In letzterem Fall fühlen wir uns dazu oft nicht berechtigt, schließlich handelt es sich ja nur um eine Kleinigkeit und wir wollen nicht als pingelig oder als Kontrolletti dastehen. Diese „Gefahr“ lässt sich jedoch ausmerzen, indem man im Gespräch einem weiteren Prinzip folgt, dass eigentlich aus der Verhandlungsführung stammt.
4. Hart in der Sache, weich zur Person
„Hart in der Sache, weich zur Person“ lautet das zentrale Motto des sogenannten Harvard-Konzepts der Verhandlungsführung, das auch bei jedem „Problemgespräch“ eine nützliche Richtschnur bildet. „Weich zur Person“ meint damit nichts anderes, als dem Gesprächspartner freundlich, fair und höflich zu begegnen. Am besten gelingt das aus besagter wohlwollender Haltung heraus. Gelingt es uns nicht, in eine solche zu gehen oder zumindest eine neutrale anzunehmen, sollte das Gespräch besser verschoben werden. Denn Ärger des Gesprächspartners wird als Angriff gewertet, der entweder zum Gegenangriff oder zu Verteidigungsverhalten führt, beides ist für die Lösungsfindung nicht zielführend.
Aufgesetzte Freundlichkeit ist oft noch kontraproduktiver. Denn Gefühle lassen sich nicht effektiv überspielen. Der Grund sind sogenannte Mikrosignale, die wir in der Kommunikation unbewusst immer mitsenden. Über sie registriert das Gegenüber – ebenfalls unbewusst –, wie es wirklich um unsere Gefühle steht. Gibt es eine Diskrepanz zwischen den „großen Gesten“ und den „winzigen Signalen“, entsteht beim anderen ein Gefühl der Unstimmigkeit, das sich in Misstrauen und Ablehnung niederschlägt.
„Hart in der Sache“ wiederum bedeutet, die eigenen Beobachtungen und Positionen klar zu kommunizieren – ohne Relativierungen, ohne Entschuldigungen, auch wenn der Gesprächsanlass vermeintlich noch so unbedeutend ist, wie eben der Teebeutel in der Spüle. Je „härter“ – im Sinne von klarer – wir in der Sache sind, desto deutlicher merkt das Gegenüber, dass uns die Sache wichtig ist und wird sie ebenfalls wichtig nehmen. Vor allem dann, wenn wir nicht nur unsere Beobachtungen, sondern auch unsere Bewertungen und die Wirkungen der Dinge auf uns klar benennen. Also keine Phrasen dreschen wie „So was macht man nicht“, denn solche wirken belehrend und lösen sofort Widerstand aus. Sondern subjektiv-sachlich bleiben: „Mir ist Sauberkeit sehr wichtig. Deshalb empfinde ich einen Teebeutel in der Spüle als störend und kann ihn auch nicht einfach liegen lassen.“ Oder: „Wenn du deine Berichte erst nach dem Termin abgibst, komme ich in Stress, weil mir dann weniger Zeit bleibt, den Abteilungsbericht fürs Management zu verfassen. Zudem stresst es mich mittlerweile schon vorher, dass ich nicht sicher weiß, wann du deinen Bericht einreichen wirst.“
Eigentlich selbstverständlich, aber zu wichtig, um es nicht zu erwähnen: Wie vorsichtig wir im Gespräch vorgehen müssen, hängt vom Beziehungskonto ab. Ist es gut gefüllt – die Beziehung also stabil und durch viele gegenseitige positive Erfahrungen miteinander geprägt –, muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden. Ist es dagegen leer oder sogar im Minusbereich – die Beziehung also belastet –, kann bereits eine einzige missverständliche oder provokative Formulierung zur Eskalation führen. Das sollte man immer auf dem Schirm haben.
5. Zuhören
Es ist wichtig, die eigenen Beobachtungen und subjektiven Wirkungen und Bewertungen dem Gegenüber klar zu vermitteln. Genauso wichtig ist es, im Problemgespräch dessen Beweggründe respektive die Hintergründe dessen Verhaltens zu verstehen – vor allem dann, wenn es um komplexere Fälle als den Teebeutel in der Spüle geht. Welche Bedürfnisse stehen dahinter? Gibt es äußere Umstände, aus dem das Verhalten resultiert, die ich nicht sehe? Welche Bedeutung misst es diesem Verhalten zu – ist es für es genauso wichtig wie für mich oder vielleicht völlig nebensächlich?
Der Weg zum Verständnis führt dabei über offene Fragen und „echtes“ Zuhören – also ein Zuhören mit wirklichem Interesse und Offenheit für die Dinge, die man erfährt, auch wenn diese nicht zu den
eigenen Überzeugungen und Annahmen passen. Wichtig dabei: sich selbst zurücknehmen und nicht der Versuchung des sogenannten Konversations-Narzissmus erliegen, also der menschlichen Neigung, an
Schilderungen des Gegenübers eigene Beobachtungen und Geschichten anzuknüpfen. Ist durch klare Kommunikation der eigenen Sichtweise und echtem Zuhören bei den Ausführungen des Gegenübers eine
gegenseitige Verständnisbasis geschaffen, ist eine Lösung für das Problem im Grunde nur noch Formsache. Oft wird sich diese im Gespräch wie von selbst entwickeln. Denn als soziale Wesen sind
Menschen nicht nur harmonieorientiert, sondern auch auf Kooperation programmiert. Es liegt uns im Blut, Möglichkeiten und Wege zu finden, gut miteinander klarzukommen.
Foto von Bekky Bekks auf Unsplash https://unsplash.com/de/fotos/i69jiBH2CM8
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