Besser voneinander denken

 

In unserer westlichen Gesellschaft haben wir uns daran gewöhnt, von einem negativen Menschenbild auszugehen. Dieser Common Sense mag schwer zu überwinden sein, versuchen sollte man es trotzdem. Ein paar Grundsätze können dabei helfen.

 

Geh im Zweifelsfall vom Guten aus

 

Was kann man tun, wenn man an den Absichten anderer zweifelt? Man sollte sich vergegenwärtigen, dass es am realistischsten ist, erst mal vom Guten auszugehen. Warum? Weil man in den meisten Fällen (wenn auch nicht in allen) bestätigt werden wird. Menschen verhalten sich weit häufiger freundlich und kooperativ als boshaft, betrügerisch, egoistisch und faul. Der Preis, den man für ein Leben zahlt, in dem das eigene Vertrauen ab und zu missbraucht wird, ist daher in der Regel geringer als der Preis für ein Leben, in dem man anderen ständig mit Misstrauen begegnet.

 

Denke in Win-win-Szenarien

 

Philosophen und Psychologen haben sich immer wieder den Kopf über die Frage zerbrochen, ob es so etwas wie reine Uneigennützigkeit gibt, ob nicht auch Hilfsbereitschaft dem Drang entspringt, sich selbst dadurch besser zu fühlen. Darauf kann man getrost erwidern: na und? Tatsächlich hat es die Natur so eingerichtet, dass sich Gutes meist gut anfühlt. Verzeihen zum Beispiel ist nicht nur ein Geschenk an den oder die andere, sondern auch an einen selbst, denn wer verzeiht, muss weniger Energie auf Hass und Neid verschwenden. Entwertet dies das Verzeihen? Wohl kaum. Statt mit guten Taten zu hadern, weil sie vielleicht „nur dem Eigeninteresse“ entspringen, sollte man solche Win-win-Effekte wertschätzen.

 

Versuche, zu verstehen

 

Ich weiß: Es gibt zahllose Studien, die belegen, dass wir keine rationalen Wesen sind, dass wir in weit höherem Maße unseren Emotionen unterlegen sind, als uns lieb ist. Dennoch ist unser Verstand ein wesentlicher Bestandteil dessen, wer wir sind. Deswegen bin ich überzeugt: Um den Glauben an das Gute im Menschen zu stärken, hilft es nicht zuletzt, einen klaren Kopf zu bewahren und die Dinge gründlich zu studieren. Das heißt beispielsweise, zu analysieren, was wirklich passiert, wenn man Mitarbeitenden größere Handlungsspielräume gibt – statt von vornherein davon auszugehen: „Das klappt doch nicht.“ Es geht darum, die Fakten sprechen zu lassen.

 

Meide die Nachrichten

 

Wenn man sich die Fernsehnachrichten anschaut, gewinnt man den Eindruck, der Wirklichkeit näherzukommen, bekommt aber in Wahrheit ein verzerrtes Bild vorgesetzt. Es wird viel eher darüber berichtet, was Menschen Schlechtes anrichten, als was sie Gutes tun. Dasselbe gilt für die sozialen Medien. Auch sie profitieren von unserem „Negativity Bias“, dem Umstand, dass wir Negativem (evolutionär bedingt) größere Beachtung schenken als Positivem. Mein Rat lautet daher: Es ist weit besser, einordnende, reflektierende journalistische Beiträge zu konsumieren, als sich der ständigen Nachrichtenflut auszusetzen. Auch dies ist ein Schritt, um einem realistischeren Menschenbild näherzukommen.

 

Stelle Fragen

 

Es ist die goldene Lebensregel fast aller Philosophen in der Weltgeschichte: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“ Allerdings wollen Menschen Unterschiedliches. Das „Gute“ des einen ist nicht zwangsläufig „das Gute“ der anderen. Der irische Bühnenautor George Bernard Shaw formulierte es daher so: „Tu andern nicht, wie du willst, dass sie dir tun. Ihr Geschmack könnte ein anderer sein als deiner.“ In der Praxis bedeutet

dies: Es ist immer gut, Fragen zu stellen, um die Bedürfnisse anderer – und deren Sichtweise – zu verstehen. Es ist immer gut, ins Gespräch zu kommen, statt in Eigenregie zu definieren, was „gut“ ist.

 

Schäme dich nicht für das Gute, oute dich

 

Psychologen haben entdeckt, dass sich Menschen häufig „egoistische“ Scheinbegründungen ausdenken, wenn sie etwas Gutes tun. Nur, um sich in unserer individualistischen, westlichen, von einem negativen Menschenbild geprägten Kultur nicht verdächtig zu machen. Dieses Verhalten aber zementiert unser aller negatives Menschenbild. Denn: Wer sich als Egoist vermummt, stärkt andere in deren zynischem Blick auf den Menschen. Schlimmer noch: Er oder sie ist kein Vorbild für andere. Dabei zeigt die psychologische Forschung, wie ansteckend freundliches Verhalten ist. Selbst wenn Menschen davon aus zweiter Hand erfahren, macht es ihnen oft Lust, sofort ebenfalls hilfsbereit und freundlich zu agieren. 

 

 

Photo by Brooke Cagle on Unsplash

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