Über Elefanten reden

 

Zahlreiche Change-Vorhaben kommen nicht über ihre euphorische Startphase hinaus. Ein wichtiger Grund besteht darin, dass Unternehmen vieles hartnäckig ignorieren, was einem erfolgreichen Wandel grundsätzlich im Wege steht. Da gibt es dann riesige unsichtbare „Elefanten im Raum“, die keiner wagt, zu benennen. Dabei ist der offene Umgang mit solchen Themen der erste Schritt einer erfolgreichen Transformation!

 

Es ist ein typisches Phänomen: Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, hören wir, dass Silo- Strukturen in vielen Unternehmen keine gute Idee (mehr) sind. Sie verhindern, dass Organisationen agil agieren können, weil sie die Zusammenarbeit erschweren. Weil sie Konkurrenz statt Kooperation fördern. Aber hat sich seither viel verändert? Sind die Unternehmensstrukturen – bis auf ein paar Ausnahmeerscheinungen – heute nennenswert anders als vor zehn Jahren noch?

 

Die Antwort lautet „Nein“. Natürlich erklären Verantwortliche aus Unternehmen immer wieder, heute sei vieles anders, man führe jetzt transformational, man nutze agile Methoden – und das stimmt auch. Doch schaut man genauer hin, passiert das meiste nur punktuell. Zudem beschränkt sich das Vorgehen auf die Mitarbeiterseite, auf die Arbeitsplatzgestaltung und auf neue Arbeitstools. Das Wesentliche aber bleibt unangetastet: die Strukturen im Unternehmen und die grundlegenden Prozesse. Selbst dort, wo sich Pilotteams neu ausrichten und autonom arbeiten dürfen, verpufft deren Transformationsenergie oft schnell, sobald die Teams auf das verkrustete Grundgerüst der Organisation treffen, das niemand gewillt ist, infrage zu stellen. Man dreht an kleinen Schräubchen, nicht aber am großen Rad. Man bleibt im „Eigentlich müsste man ...“ stecken.

 

Doch solange überholte organisationale Grundstrukturen nicht angefasst werden, wird ein Großteil der Agilisierungsbemühungen wirkungslos bleiben. Wo es keinen grundlegenden Erneuerungswillen gibt, kommen die meisten guten Ideen über das Stadium des Zettelchenklebens nicht hinaus. So manche Firma ist deshalb bis heute ein bürokratischer Alptraum, in dem Managerinnen und Manager, statt radikal umzuformen, wegzulassen und zu reduzieren, zum Hinzufügen und Mehren neigen. Da wird stolz verkündet, dass einige Teams im Unternehmen neuerdings auch mit Scrum arbeiten – ohne sich klarzumachen, dass es nichts bringt, wenn ein selbstorganisiertes Team im Schnellsprint ein Kundenprojekt bis zur Umsetzungsreife entwickelt, dieses Projekt dann aber wochenlang in einem klassischen Toplevel-Gremium hängen bleibt, weil die hierarchischen Prozesse im Unternehmen das so erzwingen.

 

Doch das Mehren – nicht das Einstampfen und Weglassen – gilt als Zeichen von Geltung und Macht. Obendrein ist es der einfachste Weg, es allen recht zu machen, einschließlich sich selbst. Man spart sich Auseinandersetzungen, aber auch Analyse- und Denkaufwand sowie unangenehme Gefühle. Denn so muss man sich gar nicht erst der Herausforderung stellen, sich mit seiner eigenen Rolle nach einer konsequenten Transformation auseinanderzusetzen. Man kann stattdessen den Anschein von Fortschrittlichkeit wahren, weil „ja jetzt in einigen Teams mit Scrum gearbeitet wird“, ohne wirklich fortschrittlich zu sein. Verbale Aufgeschlossenheit bei anhaltender Verhaltensstarre nenne ich das.

 

Vieles in Unternehmen ist dem Anschein nach unveränderlich Je größer eine Organisation ist, desto häufiger geht es in ihr rein um das Bedienen des Apparats. Durch eine aufgeblähte Mess- und Steuerungsbürokratie, durch Strukturmerkmale und Prozesse, die schon lange nicht mehr hinterfragt werden, sorgen einzelne Bereiche überhaupt erst für ihre Daseinsberechtigung. Dies kann dazu führen, dass Produkte am Leben gehalten werden, von denen alle wissen, dass diese von gestern sind. Dass Projekte, die man vernünftigerweise beenden müsste, fortgeführt und eisern verteidigt werden, um die eigene Stellung zu wahren. Oder, dass niemand wagt, die

bestehenden Silos infrage zu stellen, weil schon klar ist, dass viele Nutznießer und Nutznießerinnen dieser Strukturen darüber nicht erfreut wären.

 

Regeln und Rituale, die keiner mehr braucht, alphahierarchische Machtstrukturen, unzeitgemäße Entscheidungsverfahren, rückständige Arbeitsstile, antiquierte Führungsmethoden, eine falsche Fehlerkultur, die überbordende hausgemachte Bürokratie, verfehlte Bonifizierungsstrategien, veraltete Geschäftsmodelle und auch die vergreisten Lieblingsprodukte des Firmenchefs – all das liegt in vielen Organisationen im Argen. Gesprochen wird darüber jedoch höchstens hinter vorgehaltener Hand. Denn an vielen dieser Themen hängen Privilegien, Status und Einfluss. Niemand demontiert sich gern selbst und macht sich entbehrlich. Deswegen schützen viele den Bestand, selbst dann, wenn das der Zukunft des Unternehmens und damit ihnen selbst schadet. Man stellt die Dinge, ob bewusst oder unbewusst, nicht infrage. So züchten viele Unternehmen heilige Kühe heran, die unantastbar erscheinen. Dabei müsste die erste Erkenntnis des Managements in vielen Firmen eigentlich sein: Die wahren Verhinderer von echtem Wandel, das sind wir selbst.

 

Auch psychologische Faktoren lassen heilige Kühe entstehen Das Problem mit den heiligen Kühen manifestiert sich auf verschiedenen Ebenen, die auch ineinandergreifen. Eine dieser Ebenen ist die der sozialen Dynamiken im System Organisation. Soziale Systeme streben stets einen Zustand der Stabilität an. Deswegen neigen sie dazu, in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen und Verhaltensweisen, die sich ehemals als erfolgreich erwiesen haben, zu verstetigen und zu wiederholen. Die reproduzierten Verhaltensschemata scheinen (sofern der Druck von außen nicht zu groß wird) risikoärmer als das Einschlagen völlig neuer Wege. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als Pfadabhängigkeit.

 

Auch kognitive Verzerrungen (engl.: „Cognitive Bias“) auf individueller Ebene, zu denen wir Menschen generell tendieren (also fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen), tragen dazu bei, dass wir oft weitaus lieber am Status quo festhalten, als uns zu verändern.

 

Vier dieser kognitiven Blockaden sind im Zusammenhang mit der Abwehr von Veränderung besonders bedeutsam:

 

1. Der Selfherding-Effekt:

 

Hierbei handelt es sich quasi um das Phänomen der Pfadabhängigkeit auf individueller, psychologischer Ebene: Wir wiederholen gern Aktivitäten, in denen wir früher erfolgreich waren. Ähnlich dem Herdentrieb folgen wir oft unreflektiert der „Herde“ unserer eigenen Entscheidungen aus der Vergangenheit. Dies bewirkt, dass wir uns in unsere eigenen Ideen verlieben. Waren diese oft von Erfolg gekrönt, verfallen wir mitunter sogar einem gefährlichen Glauben an unsere eigene Großartigkeit. Von Selbstzweifeln völlig befreit kann dies zu Allmachtsfantasien, zu Realitätsverlusten und zur Illusion der Unbesiegbarkeit führen. Und Vorsicht: Je höher wir in der Hierarchie stehen, desto anfälliger sind wir für diesen Effekt.

 

2. Der Social-Proof-Effekt:

 

Dies ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen sich in ihrem Verhalten an dem ihrer Mitmenschen orientieren. Sie übernehmen oder imitieren deren Handlungen in der Annahme, dass diese in einer jeweiligen Situation angemessen sind, „weil es alle so machen“. Dabei kann ebenso die Meinung der Masse als Referenz dienen wie die einer einzelnen Autorität. Ist etwa der Chef für oder gegen eine Sache, sind plötzlich alle dafür oder dagegen – bisweilen bewusst, oft aber auch unbewusst. „Executive Isolation“ ist eine gefährliche Folge, das heißt: Obere bekommen nur noch zu hören, was sie hören wollen; alle reden ihnen nach dem Mund.

 

3. Der Besitztumseffekt:

 

Dieser Effekt besagt, dass wir Menschen dazu tendieren, eine Sache als wertvoller zu betrachten, sobald wir sie besitzen. Zudem suchen wir ständig nach Bestätigung für unsere bestehenden Denkmuster, Handlungsroutinen und Glaubenssätze. Deswegen tendieren wir auch dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie unseren eigenen Erwartungen entsprechen und/oder dass sie diese bekräftigen. Manche von uns beharren selbst dann auf ihrer Meinung, wenn neue Informationen diese längst widerlegen. Gibt es Dissonanzen, lösen wir diese oft auf, indem wir eigene Meinungen und getroffene Entscheidungen aufwerten und plausible Erklärungen für die Widersprüche finden. Das alles gilt auch für organisationale Regeln, Prozesse, Strukturen und Methoden: Wer sie entwickelt oder eingeführt hat, ja selbst, wer sie lange Zeit erlebt hat, schätzt sie in ihrer Nützlichkeit höher ein und hält stärker an ihnen fest als zum Beispiel jemand, der gerade erst ins Unternehmen gekommen ist. Genau deswegen sind die Lieblingsprojekte des Chefs tabu.

 

4. Die Verlustaversion:

 

Verlustaversion meint die Tendenz, mögliche Verluste höher zu gewichten als mögliche Gewinne. Nachgewiesen wurde diese Verhaltensbesonderheit vor allem mithilfe verschiedener Gewinnspielexperimente und auch an der Börse. In Organisationen macht sie sich etwa bei der Frage bemerkbar, ob eine alte Methode oder ein etabliertes Produkt durch etwas Neues ersetzt werden soll. Die möglichen Nachteile, die eine Abschaffung mit sich bringen kann, werden im Vergleich zu den möglichen Vorteilen des Neuen tendenziell überbewertet. Dies führt dazu, dass wir vieles am liebsten beim Alten belassen – selbst dann, wenn uns das zurückwirft.

 

Mit den kognitiven Blockaden gehen auch emotionale einher. Eines der wichtigsten Gefühle, das Menschen daran hindert, in Organisationen schlüssige Transformationskonzepte anzuschieben, mitzutragen und umzusetzen, ist Angst. Etwa die Angst, bei neuen Themen nicht mehr mithalten zu können. Die Angst, als inkompetent zu gelten. Die Angst, sein Gesicht zu verlieren. Die Angst vor Status-, Macht- und Bedeutungsverlust. Die Angst, Privilegien oder seinen Posten zu verlieren. Die Angst, niemanden mehr „unter sich“ zu haben. Und die Angst, aufs Abstellgleis zu geraten und nicht mehr dazuzugehören. Angst ist eine mächtige Triebkraft menschlichen Handelns. Sie kann ein wichtiges Warnsignal sein, sie kann aber auch zu einem Leistungs- und Fortschrittskiller werden.

 

Oft haben wir keinen Zugang zu unseren wahren Motiven. Wir geben weder uns selbst noch anderen gegenüber zu, dass wir Veränderung XY hauptsächlich deswegen ablehnen, weil wir den Verlust fürchten, der damit für uns verbunden sein könnte. Stattdessen schieben wir andere Gründe vor – oder wir blenden, wie es im Management häufig geschieht, einen nötigen, substanziellen Veränderungsschritt (z.B. die Veränderung der Entscheidungsstrukturen im Unternehmen) von vornherein aus. Auch mit Killerphrasen und Totschlagargumenten, die wir aus Organisationen nur allzu gut kennen, maskieren wir vor uns selbst und anderen oft unbewusst unsere wahren Motive. Von „Dafür haben wir jetzt keine Zeit!“ (Bequemlichkeit) über „Das haben wir noch nie so gemacht!“ (Angst vor Neuem), „Sie haben doch keine Ahnung, wie es bei uns läuft“ (Reviergehabe und das Nicht-hier-erfunden-Syndrom) bis hin zu, ganz unverbindlich, „Lasst mal, das schafft zu viel Unruhe jetzt, warten wir lieber noch ab“.

 

Auf manche dieser Phrasen fällt man selbst als außenstehender Berater schnell mal herein. „Das machen wir doch schon“ ist eine solche, bei der nachgefragt werden sollte: „Wie denn genau? Wie früher? Wie immer? Wie alle anderen?“

 

Den Elefanten im Raum kann man besprechbar machen

 

Es ist wichtig, zu wissen, dass es solche Beharrungskräfte gib. Denn nur so wird man sensibel dafür, dass im Unternehmen heilige Kühe existieren könnten, die es sich womöglich lohnt, zu „entheiligen“. Also über sie zu reden. Dabei muss man gar nicht die Sorgen und Ängste rund um diese Themen direkt adressieren; Menschen dazu bringen zu wollen, sich derart zu entblößen, wäre sogar kontraproduktiv. Stattdessen geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem offen über Themen gesprochen werden kann, die – womöglich – den Status einer heiligen Kuh haben.

 

Ein Verwandter der heiligen Kuh ist der Elefant im Raum. Die Metapher steht für ein Problem, das allen nur zu bewusst ist, das also, etwa bei einem Meeting, dick und breit wie ein Elefant im Raum steht, das aber niemand anzusprechen wagt und bei dem alle so tun, als wäre es nicht da. Man kann mit Elefanten im Raum aber auch die heiligen Kühe im Unternehmen vertreiben – wenn es gelingt, diese Elefanten in einem Diskussionsworkshop sichtbar und besprechbar zu machen.

 

Initiiert werden sollte der Prozess von jemandem aus dem Topmanagement. Denn er setzt die grundsätzliche Bereitschaft voraus, sich mit Themen zu beschäftigen, die einem erfolgreichen Wandel entgegenstehen könnten – und diese dann auch anzupacken. Der Workshop sollte von einer qualifizierten externen Moderation begleitet werden. Diese kann schon im Vorfeld viel dazu beitragen, ein Umfeld zu schaffen, in dem es leichtfällt, totgeschwiegene Themen auf den Tisch zu bringen. Dazu gehört nicht zuletzt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Wandel zwar mit persönlichen Verlusten einhergehen kann, dass man dafür aber an anderer Stelle viel hinzugewinnen kann, auch als Individuum. Zum Beispiel: zeitliche Kapazitäten für anderes, wenn man als Führungskraft nicht mehr darauf besteht, hinter jede getroffene Entscheidung persönlich ein Häkchen zu setzen.

 

Tatsächlich lassen sich Menschen nur dann auf Veränderung ein, wenn sie unterm Strich mehr gewinnen, als sie zu verlieren haben. Unter Umständen kann es auch nötig sein, mit den Betroffenen in Einzelcoachings persönliche Bedenken entsprechend zu bearbeiten. Die Moderation macht auch deutlich, dass es nicht darum geht, alles Bestehende infrage zu stellen oder gar, alles auf einmal ändern zu wollen, sondern, dass es vollkommen ausreicht, zunächst ein paar wenige Elefanten, auf die sich alle gut einigen können, ins Visier zu nehmen und sich Alternativen für diese offenkundig hinderlichen Strukturen und Prozesse zu überlegen. Und zwar – auch das ist psychologisch wichtig – Alternativen, die nicht in Stein gemeißelt sind, sondern die erst einmal getestet und, wenn nötig, auch wieder verworfen werden können. So wächst die Chance, dass sich die Teilnehmenden im Workshop darauf einlassen, strukturelle und prozessuale Hemmnisse, über die offiziell bisher nie gesprochen wurde, anzusprechen, selbst wenn diese mit persönlichen Empfindlichkeiten verbunden sind.

 

Am besten startet man mit einer „Sicherheitsfrage“. Dazu zeichnet man eine Elfer-Skala (von Ziffer null bis Ziffer zehn) auf eine Pinnwand und fragt die Anwesenden: „Auf dieser Skala verortet: Wie frei denkst du, in dieser Runde reden zu können? Im Allgemeinen favorisiere ich dabei eine verdeckte Bewertung, denn die Gruppenzwänge sind oft sehr hoch: Man will sich mit seiner Meinung nicht isolieren. Die Gefahr, dass erwünschtes Verhalten gezeigt wird und vor allem genehme Antworten kommen, ist damit groß. Die Pinnwand mit der Skala wird also am besten umgedreht, sodass die Teilnehmenden ihre Bewertung anonym abgeben können. Damit man außerdem unbeeinflusst von anderen bleibt, schreibt jede Person ihre Zahl bereits auf einen Klebepunkt, bevor sie damit hinter der Pinnwand verschwindet.

 

Liegen Punkte unter sieben, muss darüber geredet werden. Meine Erfahrung dabei: Führungskräfte geben in aller Regel eine zu gute Wertung ab, weil sie sich selbst über und die organisationale Not unterschätzen. Bei einem interhierarchischen Workshop sollten sie deshalb ihre eigenen Punkte einkreisen, damit sichtbar wird, dass hier eine Führungskraft ihr Urteil abgegeben hat. Allerdings ist es in vielen Firmen grundsätzlich besser, Führungskräfte- und Mitarbeitenden-Elephant-in-the-Room-Workshops getrennt voneinander abzuhalten, da sonst die Gefahr, dass Mitarbeitende sozial erwünscht antworten, trotz Anonymisierung gegeben ist.

 

Heilige Kühe ersetzt man am besten testweise durch Neues

 

Nur wenn die Unternehmens- und Kommunikationskultur bereits sehr offen und vertrauensvoll ist, kann man auch die nicht anonymisierte Variante des Verfahrens wählen: Man holt die Elfer-Skala in diesem Fall physisch in den Raum, indem man sie auf den Fußboden malt. Die Teilnehmenden sollen sich dann zu der jeweiligen Nummer begeben und folgende Fragen beantworten: „Möchtest du den anderen etwas zu deinem Standpunkt sagen?“ Oder: „Möchtest du jemanden im Raum etwas zu dessen Standpunkt fragen?“

 

Nach der Sicherheitsfrage und einer kleinen Wirkungspause werden schließlich die „heiligen Kühe“ (in vielen Fällen am besten immer noch anonymisiert) abgefragt. Dabei hilft als Maßstab zur Beurteilung die zentrale Frage: Wie wollen wir zukünftig miteinander arbeiten? Ein Etappenziel des Workshops ist dann erreicht, wenn sich am Ende alle getraut haben, Dinge, die sie für eine „heilige Kuh“ halten, offen anzusprechen. Es ist völlig in Ordnung und dem Prozess förderlich, wenn dies zunächst kleine Dinge sind, die alle offenkundig nerven. Vor allem ausufernde bürokratische Prozesse, bei denen niemand mehr sagen kann, aus welchem Grund es sie überhaupt gibt, sind ein Eisbrecher-Thema, bei dem die Hemmschwelle, den Missstand zu benennen, meist relativ niedrig ist.

 

Unter den Dingen, die schon stärker an persönliche Ängste und Verlustaversionen rühren, sind die Entscheidungsprozesse in einem Unternehmen. Sie sind aber gleichzeitig auch ein Thema, bei dem relativ leicht testweise effektvolle Veränderungen möglich sind. Wenn erst einmal offen ausgesprochen wurde, wie sehr es Prozesse verlangsamt, wie stark Mitarbeitende ausbremst und Führungskräfte überfordert werden, wenn alles über den Chef-Schreibtisch wandern muss, dann kann man nach praktikablen Lösungen suchen, die die alten Strukturen

aufbrechen, die den Haltern der heiligen Kuh namens „die Entscheidungsmacht muss beim Management liegen“ aber gleichzeitig einen Sicherheitsanker geben. Etwa, indem man die Regel vereinbart: Entscheidungen dürfen bis zu einem Geldwert von XY an der Basis getroffen werden. Oder: Ab einer Summe von XY braucht es eine konsultative Beratung, bevor die Entscheidung fällt.

 

Wichtig ist auch, dass im Workshop priorisiert wird. Denn nicht jede „heilige Kuh“ sieht für jeden gleich groß aus. Das Minimalziel ist, überhaupt einen Anfang zu machen, also zumindest die ein oder andere heilige Kuh zu diskutieren und sie probeweise durch etwas Neues zu ersetzen. Das Maximalziel besteht darin, dass es irgendwann überhaupt keine „heiligen Kühe“ mehr gibt, sondern dass man sich im Unternehmen daran gewöhnt, grundsätzlich alles infrage stellen zu können.

 

 

Photo by Iswanto Arif on Unsplash

 

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