Lektionen in Leadership: Verwirrte Wertschätzung

 

Haben Sie schon einmal von einer Lob-Liste gehört? Manche Führungskräfte haben tatsächlich so eine: Dort machen sie immer einen Strich, wenn sie einem Mitarbeitenden auf die Schulter geklopft, mit einem „Gut gemacht“ bedacht oder einem „Prima Leistung“ versorgt haben. So wollen sie sichergehen, dass sie allen im Team genügend Anerkennung zollen.

 

Denn genau das liest und hört man schließlich immer wieder: In guten wie in schlechten Zeiten – Loben, Anerkennung schenken und Wertschätzung zollen gehören zu den wichtigsten Führungsaufgaben. Und zugleich zu jenen, die selbst erfahrenen Führungskräften häufig Kopfzerbrechen bereiten: Wofür soll ich denn jene Mitarbeiter loben, die einfach durchschnittliche Leistung zeigen? Ich kann mir ja nicht ständig ein Lob aus den Fingern saugen, wenn ich dafür keinen Anlass sehe. Aber wenn ich nur wirklich gute Leistungen honoriere, zolle ich letztlich immer nur einigen wenigen Anerkennung und vernachlässige die meisten. Das ist auch nicht wirklich wertschätzend.

 

So knifflig diese Fragen scheinen, sind sie letztlich jedoch obsolet, denn sie resultieren nicht aus realen Anforderungen, sondern aus einer semantischen Verwirrung der Begriffe „Lob“, „Anerkennung“ und „Wertschätzung“. Obwohl diese unterschiedliche Konzepte beschreiben, werden sie häufig in einen Topf geworfen, oft sogar synonym verwendet. Entwirrt man sie, löst sich auch das Problem, und die eigentlichen dazugehörigen Führungsaufgaben werden deutlich. Diese sind anspruchsvoll, weil sie Aufmerksamkeit verlangen und eine bestimmte Haltung. Gleichzeitig aber auch einfach, weil sie eben nicht widersprüchlich, sondern glasklar sind.

 

Lob besser lassen

 

Das einfachste – und daher auch in den meisten Köpfen präsenteste – Konzept ist das des Lobens. Lob kommt pauschal daher, etwa eben in Form eines „Gut gemacht“, eines „Prima“ oder eines anderen Ausdrucks des verbalen Schulterklopfens. Es impliziert immer eine Bewertung von oben nach unten innerhalb eines hierarchischen Machtverhältnisses: Die Mutter lobt das Kind, der Lehrer den Schüler, die Chefin den „Untergebenen“ ... Insbesondere sehr selbstbewusste Mitarbeitende empfinden Lob daher oft als unangenehm, wie ein verbales Kopf-Tätscheln einer ungeliebten Großtante, bei dem man am liebsten den Kopf wegziehen würde, aus Höflichkeit aber stillhält.

 

Den meisten Menschen geht es aber einfach am Allerwertesten vorbei . Oder wie die renommierte Expertin für Gewaltfreie Kommunikation Liv Larsson es ausdrückt: „Wir haben kein Bedürfnis zu hören, dass wir etwas taugen oder fleißig sind, aber wir haben alle das Bedürfnis, gesehen und gehört zu werden.“

 

Durch Wertschätzung wird dieses Bedürfnis gestillt. Wertschätzung ist eine Form der aufmerksamen, positiven Wahrnehmung, die die gesamte Person in den Blick nimmt, im Sinne von „Ich sehe dich, deine Bemühungen, deinen Einsatz, deine Meinung, deine Anliegen, deine Einsichten – und ich erkenne in all dem einen Wert.“ Wertschätzung lässt Menschen aufblühen, weil sie ihnen das Gefühl vermittelt, wertvoll zu sein.

 

Dabei gehört oft gar nicht viel dazu, sich wertschätzend zu verhalten. Bereits mit einem Blickkontakt, einem grüßenden Nicken, einem Lächeln zeige ich dem anderen, dass ich ihn sehe und schätze. Andersherum enthalte ich ihm Wertschätzung vor, wenn ich ihn übersehe, ihm keine freundlichen nonverbalen Signale schenke. Und ich werte ihn geradezu ab, wenn ich seinen Gruß nicht erwidere, oder mich gar abwende, wenn er mich grüßt – die meisten Menschen empfinden dies als extrem demütigend. Und wenn sich ihre Führungskraft so verhält, oft sogar als beängstigend: „Habe ich etwas falsch gemacht, etwas Falsches gesagt?“, „Schätzt sie mich nicht?“, „Muss ich vielleicht sogar um meinen Job fürchten?“

 

Durch „entwertendes“ Verhalten – auch wenn sie es zumeist wahrscheinlich nur aufgrund von Gedankenlosigkeit oder Stress zeigen – können Führungskräfte bei ihren Mitarbeitenden ein verhängnisvolles Gedankenkarussell in Gang setzen.

 

Die Stärken der Mitarbeitenden ansprechen

 

Einen positiven Kreislauf setzt die Führungskraft dagegen in Gang, wenn sie die Stärken der Mitarbeitenden zum Thema macht: ihre Ruhe und Gelassenheit im größten Chaos, seine Zahlenkompetenz, mit der er jedes Budget souverän balanciert, ihre Fähigkeit, selbst die kompliziertesten Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, sodass alle es sofort begreifen.

 

Führungskräfte sagen oft: „Das muss ich nicht extra sagen, der Mitarbeitende weiß, dass ich dies an ihm schätze.“ Das mag sein. Trotzdem ist es ein großer Unterschied, es zu vermuten oder vielleicht sogar tatsächlich zu wissen, als es zu hören. Denn weil viele Menschen die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Umwelt (Eltern, Lehrer, Führungskräfte) sich zumeist auf ihn Schwächen konzentriert, haben sie gelernt sich selbst ebenfalls auf diese zu fokussieren.

Werden sie auf ihre Stärken angesprochen, verschiebt sich ihr Fokus auf diese, was starke positive Gefühle auslöst, das Selbstbewusstsein fördert und die intrinsische Motivation enorm befeuern kann.

 

Der stärkste Ausdruck von Wertschätzung in der Führung besteht aber darin, Mitarbeitende nach ihrer Meinung und ihren Einschätzungen zu fragen („Ich werde gehört“). Wobei jede geäußerte Meinung, jeder Vorschlag, jeder Standpunkt dann auch respektvoll behandelt werden sollte. So wird eine Atmosphäre geschaffen, in der alle angstfrei ihre Gedanken äußern können – auch wenn diese noch nicht zu Ende gedacht sind. Die dazugehörige Haltung: „Lieber wird mal etwas gesagt, das nicht so zielführend war, als dass ein guter Gedanke nicht eingebracht wurde.“ Wenn die Führungskraft die Aussage des Mitarbeitenden dagegen beiseite wischt, also nicht einmal wirklich auf sie eingeht, entwertet sie damit nicht nur die Aussage, sondern immer auch ein Stück weit die Person.

 

Mindestens ebenso stark wie das Bedürfnis, gesehen und gehört zu werden, ist das nach positiver Wirksamkeit. Liv Larsson drückt es so aus: „Es erfüllt uns mit Sinn zu spüren, dass wir bedeutsam sind, und zu sehen, dass die Dinge, für die wir uns ins Zeug gelegt haben, wachsen und gedeihen. Daher gibt es uns Energie zu erfahren, inwiefern unser Tun einen Beitrag geleistet hat.“ Anerkennung zu schenken, bedeutet, diese Erfahrung zu generieren, indem der

 

 

Beitrag einer Person zum Gelingen angesprochen und honoriert wird. Sie ist also eine Form von Feedback und zudem der perfekte Partner für Wertschätzung. Gehen beide Hand in Hand, spricht man von stärkender oder empowernder Führung.

 

Den Blick immer wieder bewusst auf das Positive richten

 

Genauso wie bei der Wertschätzung ist ein positiver Fokus der Boden, auf dem Anerkennung am besten wächst. Für die Führungskraft heißt das: den Blick bewusst immer mal wieder von jenen Dingen abwenden, die nicht gut funktionieren (und die eigene Aufmerksamkeit wie magnetisch anziehen), und auf die vielen Dinge richten, die gut funktionieren (und oft nur peripher wahrgenommen werden) – und diese dann eben auch thematisieren. Oder noch besser: Die Führungskraft schafft Räume, in denen gemeinsam im Team über positive Wirkungen und Erfolge gesprochen wird – denn so entwickelt sich über die Zeit eine Kultur, in der es normal ist, das Gute genauso in den Blick zu nehmen wie das, was verbesserungswürdig ist.

 

Ein solcher Raum kann zum Beispiel im Wochen-Meeting installiert werden. Dort wird dann die ersten 15 Minuten über das gesprochen, was diese Woche gut gelungen ist und womit das Team einen (besonderen) Beitrag zum Unternehmenserfolg geleistet hat. Jedes Problem, jede Kritik sind während dieser Runde tabu. Die positiven Nebeneffekte einer solchen ritualisierten Erfolgsreflexion: Die Sympathie, die die Teammitglieder füreinander empfinden, steigt. Denn wenig lässt Sympathie so sehr wachsen, wie das Gefühl, gemeinsam einen Beitrag zu leisten,

gemeinsam etwas Positives zu bewirken. Gleichzeitig wird das Team auf diese Weise immer unabhängiger von der permanenten Rückmeldung einer einzigen Person – eben der Führungskraft. Diese entlastet damit nicht nur sich selbst, sondern stärkt auch die heute so sehr gewünschte wie benötigte Eigeninitiative und Selbstorganisation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Denn Menschen, die sich sicher sein können, dass sie geschätzt und anerkannt werden, werden viel eher den Mut aufbringen, Dinge initiativ anzugehen, zu gestalten und eigenständig zu entscheiden.

 

 

Photo by Daria Pimkina on Unsplash

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