Kindness Economy: Nett gewinnt

 

Ökonomie und Freundlichkeit? Das scheint auf den ersten Blick nicht richtig zusammenzupassen, schließlich hat die Wirtschaft vor allem „bullish“ zu sein. So war es zumindest bislang. Inzwischen aber spricht vieles dafür, dass die Ökonomie in eine freundlichere Phase eintritt: Es entsteht eine „Kindness Economy“, wie es die britische Kommunikationsberaterin Mary Portas beschreibt. Diese nächste Wirtschaft ist freundlich – zu uns selbst, zum Planeten und zu unserem Gewinn. In dieser Reihenfolge.

 

Die Basis dafür bildet ein Wertesystem, in dem ein Business nur dann blühen und gedeihen kann, wenn es fundamental in unseren Lebensmustern verankert ist. Das bedeutet den Abschied von der linearen Ökonomie von „größer, schneller und immer noch billiger“ und die Hinwendung zu humanen Grundwerten wie Respekt, Verständnis und Fürsorge.

 

Diese Elemente spiegelt auch der Begriff „Passion Economy“, den der Journalist und Autor Adam Davidson mit seinem gleichnamigen Buch prägte. Davidson zufolge werden Business und Kunst, Profit und Leidenschaft in der US-Wirtschaft künftig mehr denn je miteinander verbunden werden. Seine sieben Regeln für die leidenschaftliche Ökonomie lauten:

  1. Skaliere persönliche Beziehungen.
  2. Der Preis sollte den Wert widerspiegeln, den du anbietest.
  3. Erzeuge nur Werte, die nicht einfach kopiert werden können.
  4. Wenige überzeugte Kunden sind besser als viele unsichere.
  5. Technologie sollte dein Geschäft unterstützen, nicht antreiben.
  6. Leidenschaft ist eine Story!
  7. Bleibe niemals im Produkt-Geschäft, selbst wenn du das anbietest, was andere ein Produkt nennen.

Mehr als nur ein Hype

 

Dass der Buzz um eine freundliche Ökonomie mehr als nur das Wunschdenken einer idealistischen Elite ist, zeigt sich deutlich während der Corona-Krise: Wirtschaft wird neu gedacht – sinnhafter, existenzieller, radikaler, beeinflusst von einem wachsenden Bewusstsein für die Umwelt und die künftige Lebensqualität.

 

Inzwischen manifestiert sich eine freundlichere Ökonomie zum Beispiel in der Neuausrichtung von Zertifizierungen: Ging es früher primär um technische DIN-Normen, wird heute zunehmend hinter die Produkte geschaut, in die Tiefe ihrer Kontexte und Herstellungsbedingungen. Überall tauchen neue Labels und Parameter auf, die Konsumierenden Transparenz und Unternehmen Verantwortungsübernahme ermöglichen können und sollen – von „vegan“ und „fair“ über „CO2 -positiv“ bis zu „positivem Luxus“.

 

Insgesamt zeichnet sich somit ein klarer Richtungswandel ab: Konsumierende schauen nicht mehr nur auf den Preis, sondern immer mehr auch auf Fragen der Herkunft, der Umwelt, der Firmenkultur. Eine der wichtigsten Säulen ist dabei das Zertifikat der B Corporations: B steht für „Benefit“, im Sinne von Inklusion, Impact und Innovation. Die „Declaration of Interdependence“ des B-Corp-Labels verlangt, dass „jedes Business so gestaltet werden

sollte, dass Mensch und Ort wichtig sind“.

 

Companies who (don’t) give a fuck

 

Den konsequenten Stakeholder-Ansatz der B Corporations lobt auch Mary Portas in ihrem Kindness-Buch. Zugleich betont sie aber, dass die wahre Ökonomie der Freundlichkeit noch einen Schritt weiter in Sachen soziales Engagement gehe. Sie illustriert das mit einer drastischen Unterscheidung – zwischen Firmen „who give a fuck“ und solchen „who don’t give a fuck“.

 

Als Beispiel für die erste Kategorie nennt sie den Unilever-Konzern, der ein NullCO2-Ziel bis 2030 beschlossen hat und seinen Mitarbeitenden mit innovativen Beschäftigungsmodellen neue Freiheiten ermöglicht: „Unsere erste Priorität sind unsere Angestellten“, sagt Unilever-CEO Alan Jope: „Dann kümmern wir uns um unsere Kundinnen und Kunden, unsere Businesspartner, den Planeten, die Gesellschaften, in denen wir tätig sind. Wenn wir alle diese Dinge gut machen, werden unsere Shareholder gut belohnt.“

 

Gute Taten werden mit „freundlicher“ Währung bezahlt

 

Einen anderen Ansatz für eine freundliche Ökonomie eröffnen „freundliche“ Alternativwährungen. Ein Beispiel dafür ist die japanische „Atomwährung“, die auch in der „Kind City of the Future“-Kampagne des chinesischen Computerherstellers Lenovo erwähnt wird (kindcity.com). Die japanische „Atomwährung“, benannt nach der Hauptfigur des Mangas „Astro Boy“ (japanisch „Tetsuwan Atomu“, übersetzt etwa „Eisenarm Atom“), zielt auf eine Revitalisierung von Gemeinden und wurde zum Beispiel in der Stadt Onagawa nach dem Tsunami 2011 an die Helfenden vor Ort ausgegeben. Heute kann die „Atomwährung“ durch alle möglichen freundlichen Tätigkeiten erworben werden, von Müllsammeln bis zum Einkaufen mit wiederverwendbaren Taschen. Einlösbar ist sie in Geschäften und Restaurants – die allesamt dazu beitragen, die örtliche Community zu stärken.

 

Ein ähnliches auf Freundlichkeit ausgerichtetes System ist Le Carillon in Frankreich: ein Netzwerk von kleinen Geschäften, das die sozialen Beziehungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Läden und Obdachlosen verbessern will: In Schaufenstern angebrachte Sticker machen auf die kostenlose Befriedigung von Grundbedürfnissen aufmerksam, von Essen und Trinken über Gesundheit und Hygiene bis zu Kommunikation. So werden auf der ökonomischen Mikroebene soziale Verbindungen geschaffen, die der Kommune zugutekommen.

 

Dass solche Geschäftsmodelle auch in großem Stil profitabel sind, belegen diverse Studien. So kaufen etwa 57 Prozent der Konsumierenden eher bei Marken, die ihre lokale Community unterstützen, und 51 Prozent der Generation Z legen Wert auf die Corporate Social Responsibility.

 

Mary Portas schlägt als neuen Key Performance Indicator den „Kindness Performance Indicator“ vor, einen Freundlichkeits-Score für Unternehmen. Doch auch unabhängig von der Frage, ob wir ökonomische Freundlichkeit tatsächlich einmal in dieser Form messen werden – eines steht fest: In Zukunft brauchen wir mehr Freundlichkeit. Für uns selbst, für unseren Planeten und für unseren Profit. Es geht darum, zirkuläre Systeme zu schaffen, die die Idee der freundlichen Ökonomie vorantreiben – um eine gesunde Ökonomie der Zukunft zu schaffen. Oder in den Worten von Unilever-CEO Alan Jope: „Eine Gesellschaft, in der jeder einen fairen Lohn verdient, ist eine Gesellschaft, in der Menschen für Kleidung, Nahrung, Bildung bezahlen können, und das ist gut fürs Geschäft. Ohne eine gesunde Gesellschaft haben wir kein gesundes Business.“

 

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